Kurzschnabelgänse

Kurzschnabelgänse

Freitag, 30. Oktober 2015

15.08.2015 In Island angekommen

Diese E-Mail wurde an meinem zweiten Tage nach meiner Ankunft in Island geschrieben.

Ich bin jetzt schon den zweiten Tag in Island. Es fing damit an, dass Passkontrollen aus Sicht der Isländer offensichtlich zuviel bürokratischen Aufwand darstellen. Jedenfalls gab es eine solche bei meiner Ankunft nicht: Ich durfte gleich mein Gepäck abholen und mich dann in den Bus Richtung BSÍ (zentraler Omnibusbahnhof in Reykjavik) pflanzen. Dort angekommen wurde ich aber nicht, wie eigentlich abgemacht, von meiner Vermieterin abgeholt. Das Beste an der Situation war, dass ich intelligenterweise vergessen hatte, mir ihre Telefonnummer aufzuschreiben, weshalb ich sie auch nicht anrufen konnte. Da war guter Rat teuer: Es galt, irgendwo ins Internet zu kommen, um in mein E-Mail-Fach gucken zu können, weil sie mir ihre Telefonnummer per E-Mail geschickt hatte.Ein deutscher Reisender, der auf den Bus zurück zum Flughafen wartete, war glücklicherweise bereit, zwischenzeitlich auf mein Gepäck aufzupassen und es fand sich auch nach langem Suchen endlich ein Taxifahrer, welcher sich bereit erklärte, mich sein Smartphone benutzen zu lassen. Allerdings stellte sich heraus, dass ich schlicht zu unfähig war, mein Passwort für meinen E-Mail-Account einzugeben, da ich dafür eine hebräische Tastenkombination benutze, wobei mir bis zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst gewesen war, welchen lateinischen Buchstaben das entsprach. Ich habe das Schreiben mit zehn Fingern schlicht so verinnerlicht, dass das nicht notwendig war. Aber auf einem Smartphone kommt man mit dem Zehn-Finger-Schreibsystem einfach nicht sonderlich weit, weshalb ich tatsächlich nicht in der Lage war, mein Passwort einzugeben. Ich weiß, das hört sich jetzt wahnsinnig bescheuert an, so war es aber. Der Taxifahrer war aber auf bewundernswerte Weise sehr geduldig und ließ sich nichts anmerken. Ich glaube, in Israel (wo ich 2012 sechs Wochen in Beer Sheva verbrachte, um einen Intensivsprachkurs Hebräisch zu absolvieren) wäre mir das so mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht widerfahren, aber das ist ein anderes Thema.
Anschließend packte ich meinen Laptop aus, in dem verzweifelten Versuch, irgendwie ins Internet zu kommen, obwohl mir klar war, dass das eigentlich so nicht funktionieren konnte - doch das funktionierte tatsächlich. Es gab eine drahtlose Internetverbindung, deren Passwort ich natürlich nicht kannte. Ich klickte in meiner Verzweiflung einfach, ohne das Passwort einzugeben, auf "Verbinden". Mir wurde zwar angezeigt, dass die Internetverbindung nicht gewährleistet werden könnte, aber ich versuchte es trotzdem - und es funktionierte tatsächlich. Ich kam in der Tat solange ins Internet, um die Nummer meiner Vermieterin ausfindig machen und ins Handy einspeichern zu können. Als ich kurz danach noch eine weitere E-Mail abholen wollte, kackte das Internet dann endlich ab - es hätte eigentlich von Anfang an nicht funktionieren dürfen. Ihr müsst mir das nicht glauben, es war trotzdem so.

Die Vermieterin hatte mich aus irgendwelchen obskuren Gründen eigentlich erst für Freitag erwartet - ich hatte eindeutig geschrieben "Fimmtudagur (Donnerstag, der fünfte Tag) 13. Ágúst" (habe später noch einmal nachgekuckt), aber irgendwie hatte sie das falsch abgespeichert. So musste sie von mir aus dem Schlafe geklingelt werden. Sie entschuldigte sich auch gefühlte tausendmal dafür, als sie mich dann gegen 5 Uhr isländischer Zeit endlich abholte - drei Stunden, nachdem ich am BSÍ angekommen war. Ich führte die Kommunikation zunächst auf Englisch, aber sie bestand ziemlich schnell darauf, Isländisch mit mir zu sprechen, weil ich doch bereits so ein wunderbares Isländisch schreiben könne (unsere gesamte schriftliche Kommunikation fand in der Tat auf Isländisch statt). Das funktionierte tatsächlich. Ich hatte eigentlich befürchtet, dafür nicht genug Vokabeln zu kennen, aber diese Befürchtungen erwiesen sich letztlich als nicht begründet. Sie erzählte mir u.a., dass es sich bei meinen übrigen Mitbewohner um einen Deutschen namens Benjamin und um eine Estin (an den Namen erinnere ich mich nicht) handeln würde. Die würden aber erst am 19. bzw. 24. August einziehen. Ich bin gespannt.
Nachdem wir zuhause angekommen waren, machte sie mir erstmal Frühstück und schickte mich danach ins Bett. Um 12:30 beorderte sie ihre Tochter her, damit sie mich zum isländischen Einwohnermeldeamt führe, wo ich eine Kennitala (persönliche Kennnummer, über welche jeder Isländer verfügt) und die Zulassung zur isländischen Krankenversicherung beantragen musste. Die Anmeldung ging bemerkenswert schnell vonstatten. Auf die Kennitala müsse ich jedoch 4-6 Wochen warten, wurde mir gesagt. Hoffentlich reicht mein Bargeld solange, da ich ohne Kennitala auf Island kein Konto eröffnen kann.
Anschließend zeigte sie mir noch ein wenig die Stadt, u.a. noch den Hafen und ein paar Bibliotheken, sowie die Supermärkte in der Nähe meines neuen Zuhauses. Da deckte ich mich auch gleich mit Dosenfutter für die Tage bis Sonntag ein. Sonntag fliege ich ja nach Nordwestisland für einen einwöchigen Intensivsprachkurs, bevor die Uni losgeht.
Auch mit ihr sprach ich weitgehend Isländisch. Sie meinte, ich könne auf Englisch nachfragen, wenn ich etwas nicht verstehe, aber letztlich musste ich mich nur nach der Bedeutung einzelner Wörter erkundigen, von welchen sie mir die meisten erfolgreich auf Isländisch erklärte. Ich fand es sehr angenehm, dass sie nicht gleich auf Englisch auswich, nur weil ich sie manchmal nicht gleich verstand. Aus Israel habe ich da ebenfalls ganz andere Erfahrungen.
Wieder in meinem neuen Zuhause angekommen, hielt ich auch erstmal ein weiteres, etwas längeres Schläfchen, welches nur kurz für diverse Internetaktivitäten unterbrochen wurde. Dafür war ich dann heute auch schon um sechs Uhr putzmunter. 
Heute ging ich immer an der Küste entlang Richtung Reykjavík, um mir die besten Wege zur Uni und zum Flughafen in Reykjavík zu erlaufen. War ganz schön lange Unterwegs, aber der Küstenweg ist wirklich schön und sehr grün. Island ist derzeit sowieso viel grüner als Deutschland. Das ist die positive Seite des derzeitigen, typisch isländischen Wetters - wobei, die Sonne ließ sich während meines Spaziergangs immerhin einmal kurz blicken. Neben dem schönen Küstenweg gibt es in unmittelbarer Nähe meines neuen Zuhauses auch einen weitgehend bewaldeten Berg, welchen ich morgen näher erkundigen werde. Auf seiner Spitze befindet sich auf jeden Fall eine Art Planetarium (später hat sich dann herausgestellt, dass es sich ums Perlan, den zentralen Warmwasserspeicher in Reykjavik, handelt).
Ach so: Ich sah heute zwei Gruppen brauner Gänse. Laut isländischer Wikipedia handelte es sich da um Kurzschnabelgänse, die in Island brüten. Sie grasten in aller Seelen Ruhe unmittelbar neben der Autobahn den Rasen ab und ließen sich durch nichts aufschrecken. Ich konnte sie aus nächster Nähe beobachten. Den Rasenmäher kann sich die Reykjaviker Stadtverwaltung hier offensichtlich sparen.
So, das war's erstmal von mir.
Karl Hollerung