Kurzschnabelgänse

Kurzschnabelgänse

Sonntag, 22. November 2015

Rundmail vom 27.08.2015
So, ich meld mich mal wieder aus Island. Denjenigen, denen ich versprochen habe, mich bis spätestens Mittwoch zu melden: Nach isländischer Uhrzeit ist es nach wie vor Mittwoch, wenn auch kurz vor Mitternacht, ich bin also voll im Limit. Also spart euch eure Vorwürfe ;)
An meinem ersten Sonntag auf Island, also drei Tage, nachdem ich angekommen war, flog ich abends mit dem Flugzeug von Reykjavík (wirklich Reykjavík, nicht Keflavík) nach Isafjörður in Nordwestisland, um im nahegelegenen Núpur an einem einwöchigen Intensivkurs Isländisch für Anfänger teilzunehmen. Ich hatte zwar schon einige Vorkenntnisse, war aber der Ansicht, ein paar Sachen vielleicht nochmal grundsätzlich aus einem anderen Blickwinkel erklärt zu bekommen. Abgesehen von sechs Wochen Privatunterricht bei einer Isländerin in Berlin dieses Frühjahr hatte ich mir ja alle meine bisherigen Isländischkenntnisse selbst beigebracht. Der Mann meiner Vermieterin war so freundlich, mich zum Flughafen zu fahren. Man merkt wirklich, dass die Isländer sich offensichtlich von nichts und niemandem bedroht fühlen: Gepäckkontrollen am Flughafen: Fehlanzeige. Mein Handgepäck wurde nicht einmal gewogen. Dabei hatte ich so penibel drauf geachtet, ja die 6 Kilo einzuhalten. Mein Vermieterehepaar hatte schon gemeint, dass ich gut und gerne 12 Kilo mitnehmen könnte. Auch ansonsten hätte jeder Passagier ganz locker den ganzen Rucksack voller Handgranaten packen können und wäre damit wohl durchgekommen. Aber andererseits: Wer sollte schon auf so ein kleines Flugzeug, welches bei weitem noch nicht ausgelastet war, einen Anschlag verüben? Der Flughafen in Isafjörður ist dann wohl auch der kleinste Flughafen, welchen ich je gesehen habe: Eine einzige Landebahn und eine kleine Baracke als Empfangshalle. Da konnte man richtig sehen, wie die Gepäckstücke von draußen aufs Gepäckband geworfen wurden. Vom Flughafen wurden wir auch gleich mit einem Shuttle nach Núpur geholt und am nächsten Tage fing das Programm dann auch schon an. Morgens von 9-12 fand der allgemeine Unterricht statt, welcher gleich endete, dass ich gleich rausgeschmissen und für die restlichen Tage in den Kurs mit denjenigen geschickt wurde, welche parallel dazu einen dreiwöchigen Intensivkurs absolvierten und sich bereits in der dritten Woche befanden. Aber auch dort sollte mir noch gesagt werden, dass meine Grammatikkenntnisse diejenigen der anderen Kursteilnehmer, mit Ausnahme einer Chinesin, bei weitem überstiegen. Trotzdem lohnte sich der Besuch dieses Kurses letztlich für mich, weil die Präpositionen nochmal intensiv durchgenommen wurden. Ich habe jetzt einen Überblick über die häufigsten Präpositionen des Isländischen und welchen Kasus sie jeweils verlangen.
Nachmittags fanden Wahlveranstaltungen statt, so z.B. Dialoge oder auch einfach nur die Beschreibung der isl. Natur. Pro Tag konnte man bis zu zwei Kurse wählen. Der beste Kurs wurde jedoch, finde ich, am Mittwoch angeboten: Að blóta á Íslensku: Fluchen auf Isländisch. Das muss man schließlich in jeder Sprache, welche man lernen möchte, können.
Ein weiterer Kurs einen Tag später führte uns in den Garten von Núpur, einer der ältesten Gärten Islands. Es gab sehr viele Pflanzen, welche man soweit im Norden nicht unbedingt erwarten würde, u.a. Erdbeeren, auch wenn diese aufgrund des sehr langen Winters (Schneeschmelze war in Nordisland dieses Jahr erst Mitte Juni) und des in diesem Jahre viel zu kalten und feuchten Sommers immer noch nicht reif sind und dieses Jahr wohl auch nicht mehr werden. Die Frau, die den Kurs durchführte, meinte auch, dass in Núpur in normalen Jahren die gesamten Berghänge im Spätsommer voller Blaubeeren hingen, aber in diesem Jahre können wir sehr lange nach Blaubeeren suchen. In den Nachrichten kam auch, dass die Bauern in großen Teilen Islands ihre Getreideernte schon nahezu komplett abgeschrieben hätten. Letztes Jahr gab es noch aufgrund eines ungewöhnlich warmen und trockenen Sommers landesweit Rekordernten und dieses Jahr wohl die schlechteste "Ernte" seit Jahrzehnten. So schnell kann sich das ändern.
Dienstagnachmittag fanden wiederum keine Wahlkurse, sondern eine Exkursion zum Schauplatz der Grimslasaga (so oder so ähnlich) statt. Sie fand in großen Teilen ganz in der Nähe von Núpur statt und ist in Island, aus welchen Gründen auch immer, besonders populär. Letztlich geht es natürlich, wie in den meisten Sagas, nur um Mord, Totschlag und Blutrache. Ich habe bald nicht mehr durchgesehen, wer denn nun wen umbrachte und warum.Wobei, mein Lehrer von Montag früh, ein Germanist im Sinne vom Erforschen germanischer Sprachen (also nicht nur Deutsch) gab mir eine Saga, welche er von einer dänischen Übersetzung wieder zurück in ein etwas moderneres Isländisch übersetzt hat. Darin geht es um einen Isländer, der nach Grönland fährt, dort seinen ganzen Besitz für einen Eisbären ausgibt und dann Kopf und Kragen riskiert, nur um ihn dem dänischen König zu schenken. Warum er das allerdings tun will, bleibt im Dunkeln. Immerhin wird im Laufe der Saga kein einziger umgebracht. Mal eine nette Abwechslung.
Freitagabend fand dann ein Abschlussbankett für den ganzen Kurs statt, an welchem dann isländische Spezialitäten serviert wurden, so u.a. in Pisse eingelegter Hai, welcher auch dementsprechend schmeckte. Der Teller mit den Haihäppchen war am Ende des Banketts auch immer noch reichlich gefüllt, ich weiß auch nicht, wieso. Wobei, getrocknet schmeckt Hai gar nicht mal so schlecht, aber wirklich nur getrocknet. Das wurde aber reichlich wettgemacht durchs isl. Lammfleisch, welches wirklich ganz besonders schmeckt. Ein Isländischlehrer meinte auch, das sei etwas anderes, als diese alten Hammel aus Neuseeland, welche man in Deutschland bekäme.
Zurück ging es dann letzten Samstag mit dem Bus. Es war eine sehr lange Busreise und ich war froh, als sie vorbei war, wobei ich auch einiges interessantes sah, so z.B. im Meer schwimmende Schwäne, welche sich am Seetang gütlich taten. Einmal hielten wir auch an, weil Wale sich in einem Fjord tummelten. Es ist auch bemerkenswert, an wie vielen umzäunten Gebieten wir vorbeifuhren, in welchen kleine Bäume gepflanzt werden. Die Wiederaufforstung der Insel liegt den Isländern offensichtlich sehr am Herzen. Selbst in Núpur, im äußersten Norden Islands, gab es hier und dar kleinere Wälder.
Als wir wieder in Reykjavik waren, fing es natürlich prompt an, zu regnen und das nicht gerade mit geringer Intensität. Ich musste durch den Regen nach Hause laufen mit der Folge, dass alle Sachen in meinem Rucksack einschließlich meines Laptops total durchnässt waren. Der wollte dann auch erstmal gar nicht mehr anspringen, so dass ich schon dachte, er sei kaputt. Glücklicherweise funktionierte er am darauf folgenden Tage wieder, nachdem er die ganze Nacht rumgeheult hatte, vermutlich, um die Festplatte wieder trocken zu bekommen. Mal schauen, wie lange er's noch macht. 
Aber auch meine kompletten Bücher und Aufzeichnungen waren zwar durchnässt, haben aber glücklicherweise keinerlei nennenswerte Schäden davongetragen. Mein Handy wiederum ist offensichtlich wasserdicht: Es war die ganze Zeit, während ich durch den Regen lief, an und am Ende pitschenass, funktioniert aber nach wie vor tadellos. Die Lehre daraus war, dass ich meinen Rucksack wasserdicht bekommen musste. Dafür habe ich mir schließlich einen speziellen Regencape für Rucksäcke gekauft. So etwas gehört hierzulande wirklich zur Grundausstattung.
Am vorherigen Donnerstag, während ich noch in Núpur weilte, kam mein deutscher Mitbewohner namens Benjamin an, zusammen mit seinem Vater und seinem Auto (sie waren mit der Fähre von Dänemark aus gekommen). Er kann übrigens auch schon recht gut Isländisch und hatte vor, dasselbe zu studieren, wie ich, nämlich einen einjährigen Isländisch-Intensivkurs für Anfänger (die Wahl des Präteritums erklärt sich bald von selbst). Am Montag fuhren sie mich netterweise mit zur Einführungsveranstaltung für die Isländischstudenten. Dort wurde dann gesagt, dass für diejenigen, welche den regulären BA-Studiengang Isländisch studieren wollen, es einen Einstufungstest geben würde, welchen man bestehen müsse, um dafür zugelassen zu werden. Dieser Einstufungstest orientiere sich an den Onlinekursen der Háskoli Íslands. Da ich diese Onlinekurse schon längst gemacht hatte, konnte ich mir denken, dass der Test so schwer nicht sein konnte. Weiterhin wurden die Programme beider Studienprogramme beschrieben und es stellte sich heraus, dass es in meinem ursprünglichen Studiengang im erstem Semester zu einem Großteil darum gehen sollte, den besagten Internetkurs mithilfe eines Tutors zu machen. Da konnte ich gar nicht anders, als mich bei den Dozenten nach der Möglichkeit zu erkundigen, den Einstufungstest auch mitmachen zu können, obwohl ich mich für den BA-Studiengang eigentlich gar nicht beworben hatte. Glücklicherweise war es möglich und ich konnte die Prüfung gestern mitschreiben. Schwierigkeitsgrad: Wer diese Prüfung nicht besteht, hat wirklich nie ernsthaft Isländisch gelernt.
Benjamin wollte den Test übrigens nicht mitschreiben, weil er lieber einen Nachweis für Isländischkenntnisse haben möchte, welchen es bei unserem ursprünglichen Studiengang nach einem Jahre in Form eines speziellen Diploms auch tatsächlich gibt. Außerdem wollte er seinen Vater in dieser Zeit zum Flughafen bringen. Aber was nützt mir ein Sprachdiplom, wenn ich mich dafür mindestens ein halbes Jahr lang nur mit Dingen beschäftigen muss, welche ich schon lange zuvor gelernt habe. Außerdem: Wenn ich ein Jahr lang erfolgreich an dem regulären BA-Studiengang Isländisch als Fremdsprache teilgenommen habe, sollte das als Nachweis von Isländischkenntnissen genügen. Die Isländer haben es schließlich nicht so mit der Bürokratie.
Diesen Montag ist weiterhin unsere estnische Mitbewohnerin eingezogen, die Eva heißt. Sie studiert ein spezielles Studienprogramm für internationale Studenten, irgendwas lehramtsmäßiges, kann aber weder Isländisch noch Deutsch. Sie sagt, sie fände es schon komisch, dass sie in diesem Hause kein einziges Wort verstünde, welches nicht an sie gerichtet sei. Nachdem sie uns alle drei unter ihrem Dach hatte, lud uns unsere Vermieterin übrigens zu Eierkuchen mit Marmelade und Schlagsahne an, welche auch ganz vorzüglich schmeckten.
Ich habe mir auch sagen lassen, dass es sich bei den Gänsen in Reykjavík tatsächlich um Kanadagänse handele. Es gibt sie hier wirklich massenhaft. Man stolpert schon fast über sie.
So, das war es erstmal von mir
LG
Karl

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